Irgendwie geht es trotzdem weiter

Nachdem der anfängliche Schock bei dem Betroffenen und den Angehörigen überwunden ist, steht ein Neuordnen des Alltags und der häuslichen Situation bevor. Gefahrenquellen müssen entschärft, die notwendige Gänge mit einer Begleitung geplant und die benötigten Erholungsphasen eingehalten werden. Aber nur weil die alte tägliche Routine „weg“ ist, bedeutet das keineswegs, dass kein normales Leben mehr möglich ist. Viele Betroffene sehen sich zum ersten Mal mit der Notwendigkeit von Achtsamkeit sich selbst gegenüber konfrontiert, was durchaus auch positive Effekte auf die eigene Wahrnehmung und Lebensgestaltung haben kann. Gerade in puncto Körpergefühl, das jetzt wichtiger denn je ist, berichten Erkrankte teilweise von einer Renaissance im Fühlen des Selbst. Es ist ein, wenn auch unfreiwilliger, Neuanfang mit sich und dem eigenen Körper.

Nur nicht die Zügel aus der Hand nehmen lassen

Bei Epilepsie handelt es sich zweifelsfrei um eine schwere neurologische Erkrankung, was aber nicht bedeutet, dass sich Betroffene die Selbstbestimmung über ihr Leben nehmen lassen müssen. Sei es durch die medikamentöse Behandlung, das richtige Deuten der körperlichen Signale oder die neugewonnenen Methoden zur Entspannung: Es liegt an jedem Einzelnen zu entscheiden, wie viel Raum dem „Patientsein“ gegeben wird. Aus Gesprächen ist bekannt, dass Erkrankte nach dem Aufsuchen mehrerer Ärzte in kurzer Zeit begonnen haben, sich über ihre Krankheit zu definieren, da diese ja auch das Hauptgesprächsthema bei Ärzten, den Krankenkassen und, gerade am Anfang, auch bei Familie und Kollegen ist. Allerdings ist auch hierbei wichtig zu verstehen, dass der Mensch mehr ist als die ihm gestellte Diagnose.

Anfallsfrei durch erlernte Routine

Bei einigen Betroffenen kehrt im Laufe der Zeit, auch wegen durchdachter Planung und sorgfältiger Gestaltung der Lebensumstände, eine derartige Routine ein, dass die Anzahl der Anfälle konstant sinkt, bis es plötzlich den ersten Monat ohne Anfall gibt. Ein unabdingbarer Faktor hierfür ist und bleibt einfach das eigene Körpergefühl – je vertrauter der eigene Körper im Zuge der Erkrankung geworden ist, umso besser. Wenn die Aura ausreicht, damit innegehalten, eine kurze Unterbrechung eingelegt oder ein Verschnaufen genehmigt wird. Zwei Minuten Pause anstatt eines Anfalls? Wer würde da schon nein sagen.

Natürlich gibt es keine Musterlösung hierfür, und auch nicht jeder Betroffene wird anfallsfrei werden können. Was aber im Bereich des Möglichen bei jedem liegt, ist die Reduzierung auf das absolute Minimum. Das gelingt durch das konstante Arbeiten an der eigenen Situation und dem Streben nach deren Verbesserung. Insgesamt stellt beispielsweise, auch wenn man die Epilepsie bei diesem Gedanken außen vor lassen würde, eine etwas gesündere Lebensführung eine Bereicherung dar.

Vielleicht ist es ja auch eine Chance, Dinge auszuprobieren, die man zuvor unentschlossen war zu wagen: Neue Rezepte in der Küche, mehr an die frische Luft, Fußwege gehen statt Auto fahren, die Variationen sind nahezu unbegrenzt. Solange auf die eigene Sicherheit geachtet wird und der nötige Respekt vor der Krankheit hierbei nicht verloren geht, sind der Experimentierfreudigkeit keine Grenzen gesetzt. Auch zu wissen was zu tun ist, wenn eine bestimmte Situation eintritt, beispielsweise ein Anfall in der Straßenbahn oder ähnliches, verschafft eine gewisse Sicherheit und damit Ruhe. Es ist leichter, einen Plan für eine solche Situation zu haben, der zuverlässig funktioniert, als völlig planlos dazustehen, ohne zu wissen, was als nächstes geschieht.

Wenn die nötigen Absprachen mit dem Umfeld, die persönlichen Vorbereitungen bei alleinigen Unternehmungen und die häusliche Situation geklärt sind, erhält man zurück, was zunächst verloren schien – einen ganz normalen Alltag.